Beziehung statt Erziehung - warum?

Kinder muss man erziehen.
Ist das so?
Müssen Kinder wirklich von uns Eltern geformt werden, damit sie “gelingen”?

Mutter und Kind umarmen sich. Beziehung Mutter und Kind.

By MELLINA ZIMMERMANN

Noch bei unseren Urgrosseltern und Grosseltern war Gehorsam das höchste Erziehungsziel, um anständige und angepasste Bürger hervorzubringen. Heute möchten wir jedoch selbstbewusste, selbständige Kinder, die ihr Potential bestmöglich ausleben können. Zusätzlich wäre es uns am liebsten, wenn sie auch noch brav wären. Funktioniert diese Kombination denn überhaupt? Oder müssen wir vielleicht die Idee von der Erziehung, davon unsere Kinder aktiv zu formen, fallen lassen.

Brauchen wir Erziehung?

Hinter der Erziehung steht der Gedanke, dass Kinder sich nicht richtig entwickeln würden, wenn wir nicht eingreifen und sie auf eine bestimmte Weise lenken würden. Dazu vermitteln die Eltern Normen und Konzepte, welchen die Kinder folgen sollten. Diese Konzepte werden mit erzieherischen Massnahmen wie Strafen, Belohnungen und Lob durchgesetzt. 

Doch möchten Kinder, so wie alle Menschen, ihrer selbst wegen geschätzt werden, nicht weil sie das tun, was die Eltern möchten. Kinder versuchen zu kooperieren und es ihren Eltern recht zu machen. Wenn die Vorstellungen der Eltern jedoch sehr zuwider der Natur der Kinder laufen, dann führt dies zu Stress. Mit gestressten Kindern gibt es mehr Unruhe und Machtkämpfe.

Tatsache ist, dass Kinder hauptsächlich durch das Nachahmen lernen, viel weniger durch unser aktives Eingreifen und erzieherische Reden. Auch wurde in den letzten Jahren wissenschaftlich immer wieder bestätigt, dass Belohnung und Bestrafung, sowie Lob und Tadel in der Entwicklung des Kindes hinderlich, nicht etwa förderlich sind. 

Was können Eltern also tun, wenn Erziehung gar nicht die zufriedenen und selbständigen Kinder hervorbringt, die wir uns wünschen?

Beziehung statt Erziehung

Die Beziehung zu unserem Kind stellt die wichtigste Grundlage für seine gesunde Entwicklung dar, darüber sind sich heute eine Mehrheit der Experten einig.

Eine gute Beziehung zu den Eltern gibt dem Kind das Gefühl beheimatet zu sein und einen Ort zu haben, wo es bedingungslos unterstützt wird. Dies erlaubt es dem Kind sich freier in der Welt zu bewegen und diese zu erkunden. Das Kind kann so sein Selbstbewusstsein entwickeln und mutig sein.

Statt sich an einer Erziehungsmethode zu orientieren macht es viel mehr Sinn, sich auf seine Werte zu besinnen. Was sind die Grundsätze in der Familie, die wichtig sind. Diese werden dem Kind vorgelebt und von ihm dadurch verinnerlicht. Ganz ohne Belehrungen, sondern durch Kopie des Verhaltens der Eltern. Dies ist für Kinder der natürliche Weg zu lernen. Dabei lernt jedes Kind das, was gerade im Moment wichtig ist und zu seiner generellen Entwicklung passt.

Klingt logisch? Hast du trotzdem das Gefühl Erziehung sei unverzichtbar?

Was sagt unser Bauchgefühl zu “Beziehung statt Erziehung”

Unser Bauchgefühl zum Thema Erziehung ist oft getrübt durch Erziehungsideen, welche wir schon ganz früh in unserem Leben vermittelt bekommen haben; einerseits durch unsere Eltern, andererseits durch gesellschaftliche Vorgaben.

Diese Faktoren beeinflussen unsere eigene Einstellung und nur eine weitere Auseinandersetzung mit dem Thema lässt uns dies verändern. Versuche dazu als erstes deine Haltung Kindern gegenüber zu hinterfragen. 

Hast du beispielsweise das Gefühl, du darfst dein Kind nicht “verwöhnen” und es immer hochnehmen, wenn es nah bei dir sein möchte? Frage dich woher diese Idee kommt. Vielleicht haben deine Eltern das gesagt oder jemand aus deinem Freundeskreis. Ich selbst habe solche Aussagen schon oft gehört. Doch wenn ein Kind Nähe einfordert, dann weil es ein echtes Bedürfnis danach hat. So wird es nicht verwöhnt.

Wie in diesem Beispiel gibt es viele Glaubenssätze, die wir verinnerlicht haben, die aber keineswegs wahr sein müssen.

Wie funktioniert Beziehung statt Erziehung?

Siehst du nun vor deinem inneren Auge ein ungezogenes, schmutziges Kind, welches sich alles erlauben kann und dem die Eltern dauernd hinterher rennen?

Das ist nicht, was mit einer Beziehung führen gemeint ist. Wie in jeder Beziehung haben beide Parteien Bedürfnisse und Erwartungen. Diese sollen berücksichtigt werden und gemeinsam wird nach Kompromissen gesucht. Wie auch bei einer Liebesbeziehung werden gemeinsam Lösungen für Konflikte gesucht und jeder hat die Grenzen des anderen zu beachten. Was sich davon unterscheidet ist, dass allein die Eltern die Verantwortung für die Beziehungsqualität tragen. Das Kind kann dies noch nicht.

Die Grenzen werden nicht etwa von den Eltern gemacht, sondern sind schon vorhanden. Die Aufgabe der Eltern ist es, dem Kind beizustehen, wenn es über diese Grenzen frustriert ist.

Auch soll das Kind nicht alle Entscheidungen selber treffen, das würde es völlig überfordern. Doch wenn es ein Mitspracherecht einfordert oder mit einer Entscheidung nicht einverstanden ist, dann soll ihm eine Gelegenheit gegeben werden, sich einzubringen.

Keine Angst vor Fehlern

Auch wenn Kinder hauptsächlich durch das Kopieren des Verhaltens der Eltern lernen, müssen Eltern keineswegs perfekt sein. Im Gegenteil. Für Kinder ist es hilfreich zu sehen, dass auch Eltern Fehler machen und zu diesen stehen.

Kinder brauchen authentische Eltern, die gut zu sich selber schauen und ihnen eine Orientierungshilfe sind. Daran werden sich die Kinder richten, um herauszufinden, wie man sich in der Welt verhalten kann.

Konflikte gehören wie in jeder Beziehung mit dazu. Eine grosse Herausforderung für Eltern ist es, bei Konflikten gelassen zu bleiben und diese konstruktiv zu lösen, insbesondere, wenn sie dies selbst nie lernen durften. Geben die Eltern einfach nach, dann vernachlässigen sie damit ihre Führungsrolle. Setzen sie sich ohne Rücksicht durch, wird dem Kind die Gelegenheit genommen sich einzubringen und zu lernen.

Übung: Mit Konflikten umgehen

●      Gelassen bleiben: Tief durchatmen und ein wütendes Kind zuerst begleiten (hier liest du, wie du ein Kind in seinen Aggressionen begleiten kannst).

●      Gemeinsame Problemlösung: Versuche statt einem Machtkampf gemeinsam mit deinem Kind eine Lösung zu finden. Die Entscheidung was gemacht wird, bleibt jedoch bei dir und es ist auch an dir die Reaktion deines Kindes darauf auszuhalten.

●      Zwei Optionen oder kreative Lösungsansätze: Bei einem kleinen Kind ist es am besten, wenn zwei Optionen vorgegeben werden, damit das Kind nicht überfordert wird. Bei einem älteren Kind ist es möglich die verschiedenen Bedürfnisse zu erklären und das Kind eine Lösung vorschlagen zu lassen. 

So erleben Kinder, dass sie und ihre Bedürfnisse ernst genommen werden. Dies kann die Konflikte abschwächen.

Beziehung statt Erziehung ist ein Gewinn für alle. Trotzdem herrscht nicht plötzlich nur noch Friede, Freude, Eierkuchen. Es wird Konflikte geben und diese gehören auch zu jedem Zusammenleben dazu. Durch das gemeinsame Lösen der Konflikte lernt das Kind diese Fähigkeit schon früh und es wird ernst genommen. Auch versteht es, dass jeder verschiedene Bedürfnisse hat, welche berücksichtigt werden. 

Damit sind die Grundlagen gelegt für die Entwicklung eines gesunden Selbstwerts, der Selbständigkeit und einer freien Entfaltung seiner Fähigkeiten.