4 Dinge die du über die Aggression deines Kindes wissen musst

Der 10 Monate alte Liam packt die Bauklötze, mit denen sein grosser Bruder Matteo gerade einen Turm bauen möchte. Dieser wird wütend, schreit den Kleinen an und schubst ihn so stark, dass er nach hinten umfällt. Liam fängt bitterlich an zu weinen und die Mutter kommt dazu. Ihr erster Impuls ist es mit dem Grossen zu schimpfen, er dürfe den Bruder nicht schubsen und ihn in sein Zimmer zu schicken. Doch ist dies die beste Reaktion? Was du über die Aggression deines Kindes wissen musst findest du hier im Blog.

Aggressiver Junge_Junge zeigt Wut

By MELLINA ZIMMERMANN

Ein Kind hat noch nicht die Möglichkeit seine aggressiven Gefühle in einer konstruktiven Weise zu verarbeiten. Daher wird es diese in einer destruktiven Form zeigen, die gegen sich, gegen Dinge oder gegen andere gerichtet ist. Bis zu der Fähigkeit Emotionen intellektuell auszudrücken ist es für Kinder ein weiter Weg.

Aggressionen gehören dazu

Aggressives Verhalten sollte nicht verurteilt werden, sondern als Einladung verstanden werden, sich mit dem Kind weiter auseinander zu setzen. Es ist nicht möglich aggressives Verhalten bei einem Kind durch Verbote oder Drohungen langfristig zu überwinden. Das Kind kann oft gar nicht anders. Wir Erwachsenen hingegen haben die Wahl, wie wir mit einem wütenden Kind umgehen möchten.

Der Teil des Gehirns, welcher für die Kontrolle über Emotionen zuständig ist, entwickelt sich im Kindesalter erst. Vorher werden die Reaktionen durch einen ursprünglicheren Teil gesteuert, welcher nicht aktiv beeinflusst wird. Somit ist es kleineren Kindern nicht möglich, ihre aggressiven Impulse zu kontrollieren.

Auch bei grösseren Kindern ist die Entwicklung des Gehirns noch nicht abgeschlossen und bei besonderer Gefahr können die neueren Bereiche ausgeschaltet werden. So ist es auch ihnen möglicherweise nicht möglich sich in einer aufgeladenen Situation “vernünftig” zu verhalten. 

Mehr über den Aufbau des Gehirns und wie es möglich ist, wieder in Kontakt mit den neueren Bereichen zu kommen, erfährst du in dem Artikel über Angst.

Was sind Aggressionen?

Aggression ist oft ein Ausdruck von Emotionen, welche das Kind nicht anders verarbeiten oder kommunizieren kann. Der bekannte Familientherapeut Jesper Juul beschreibt in seinem Buch “Aggression – warum sie für uns und unsere Kinder notwendig ist” die Aggression als nicht erfülltes Bedürfnis, wertvoll zu sein.

Dabei ist es völlig normal, wenn sich ein Kind manchmal aggressiv verhält. Immer, wenn es zu Konflikten kommt, ist auch Aggression mit im Spiel. Wobei Jungs ihre Aggression eher körperlich zeigen und Mädchen sich eher passiv aggressiv verhalten. Dies gehört sogar zu einer normalen Entwicklung dazu, denn werden manche Gefühle verdrängt, werden sich diese woanders ein Ventil suchen. Genauer anschauen sollten wir es uns, wenn ein Kind sich regelmässig oder übermässig aggressiv verhält. Auch Mobbing ist ein Ausdruck von Aggression, welche auf Kosten Schwächerer ausgetragen werden. 

Was können wir also tun, wenn wir das Gefühl haben unser Kind verhalte sich übermässig aggressiv.

Ursachen für Aggression bei Kindern finden

Gerade bei kleineren Kindern mag es schwierig sein, die Ursachen für aggressives Verhalten zu finden, weil sie ihre Empfindungen nicht gut in Worte fassen können. Hier kann ein Perspektivenwechsel helfen, wobei du versuchst die Perspektive des Kindes einzunehmen und zu verstehen, wie sich die Situation aus seinem Blickwinkel darstellt. Dazu solltest du möglichst alle Vorurteile, Ziele und Meinungen ablegen.

Gelingt der Perspektivenwechsel, ist dies für dich und dein Kind eine grosse Bereicherung. Das Kind fühlt sich verstanden und für dich ist es einfacher nicht böse mit dem Kind zu sein, weil du nachvollziehen kannst, warum es sich so verhält. 

Zurück zum Beispiel

Matteo aus dem Beispiel oben bekam früher die ungeteilte Aufmerksamkeit der Eltern und muss diese nun mit jemandem Teilen. Jetzt nimmt dieser jemand ihm auch noch sein Spielzeug weg. Das empfindet sein Gehirn als Gefahrensituation und die Lösung ist Verteidigung oder anders ausgedrückt Aggression. Wenn seine Mutter sich in seine Situation versetzt, wird sie erkennen, dass Schimpfen und Wegschicken nicht die optimale Lösung ist. Matteo fühlt sich schon vernachlässigt und dies würde seine Situation nur noch verschlimmern. Stattdessen kann sie ihm Aufmerksamkeit und Liebe schenken.

Zusätzlich kannst du überlegen, ob sich in den letzten Wochen und Monaten etwas in der Umgebung des Kindes verändert hat und als Ursache in Frage käme. Beispiele dafür sind ein Umzug, ein neues Geschwister, ein Arbeitswechsel der Eltern, der Verlust eines Menschen im Umfeld oder auch eines Tieres. Auch Veränderungen im Freundeskreis und in der Kita, im Kindergarten oder der Schule sollten mit in Betracht gezogen werden. Wenn eine mögliche Ursache gefunden ist, wird es einfacher, die Situation mit dem Kind zu besprechen.

Kinder in ihrer Aggression begleiten

Vor allem grössere Kinder können durch einen Dialog in ihrer Aggression begleitet werden, wobei folgende Punkte beachtet werden sollten: 

  • Stelle wenige Fragen:

Durch Fragen könnte sich das Kind in die Enge getrieben fühlen und kleinere Kinder haben manchmal Mühe Fragen zu verstehen. Besser ist es, deine Beobachtung zu beschreiben. Beispielsweise: „Dein Geschwister hat dir dein Spielzeug weggenommen und das hat dich wütend gemacht.” Wenn es etwas Anderes war, wird das Kind dies sagen und sonst möglicherweise beginnen zu erzählen.

  • Höre zu:

Versuche nicht sofort Input zu geben, sondern erst nur zu lauschen. Sei offen und interessiert dafür, was das Kind zu berichten hat. Vielleicht hat das Kind die Situation ganz anders erlebt, als du sie beobachtet hast.

  • Wiederhole, was du verstanden hast:

Damit vermittelst du deinem Kind, dass du dich für seine Sichtweise interessierst und du kannst auch sicherstellen, dass du das Kind richtig verstanden hast. 

  • Versuche eine Sprache zu verwenden, die leicht verständlich ist.
  • Habe eine offene, dem Kind zugewandte Körperhaltung und einen freundlichen, interessierten Gesichtsausdruck.
  • Sei ehrlich:

Scheu dich nicht, dem Kind auch zu sagen, wie sich sein Verhalten bei dir anfühlt. Für die Entwicklung ist es wichtig, dass die Kinder sehen, wie sich der Erwachsene fühlt. Rede dabei aus deiner eigenen Perspektive und werte nicht das Verhalten des Kindes als gut oder schlecht. Sage “ich habe Angst, dass sich das Baby verletzen könnte, wenn es geschubst wird”. Dies ist besser als zu sagen “hör auf zu schubsen”.

Noch etwas…

  • Sprich wenig über das aggressive Verhalten:

Das Verhalten ist nur ein Symptom und muss nicht weiter beleuchtet werden. Sprich stattdessen über Gefühle, Emotionen und was für das Kind gerade im Zentrum der Aufmerksamkeit steht. So erfährst du, wie du ihm helfen könntest und was für Strategien es sonst im Umgang mit Aggressionen geben könnte.

 Dieser Dialog wird das Verhalten des Kindes nicht von einem Tag auf den anderen ändern. Jedoch hilft es dem Kind in der momentanen Situation, indem es sich verstanden und wertvoll fühlt. Langfristig lernt es so, wie es mit aggressiven Emotionen umgehen kann. Es soll nicht Ziel des Dialogs sein das Verhalten des Kindes zu ändern, sondern eine gute Bindung aufzubauen.

Zusätzlich zu einem solchen Dialog hilft es gerade bei grösseren Kindern, wenn sie darin unterstützt werden, gesundes Selbstwertgefühl und Empathie zu entwickeln.